Patientenverfuegung / Betreuungsverfuegung

Wie jeder vermutlich schon wei?, gibt es immer wieder Aerger mit den Behoerden, wenn es darum geht, bei einem Familienmitglied den „Stecker zu ziehen“. Immer wieder erlebt man es, da? es einem Familienmitglied sehr schlecht geht und derjenige nicht mehr heilbar krank ist. Lungenmaschine usw. sind dann immer wieder DIE Loesungen fuer die Aerzte. Das Leiden betrifft aber nicht nur das Familienmitglied, sondern auch die Angehoerigen. Damit man sich davor schuetzen kann, sollte man schon zu Lebzeiten Vollmachten ausstellen.

Hier sind Direktlinks zu Betreuungsverfuegung und zur Vorsorgevollmacht.

Betreuungsverfuegung -> http://www.bmj.bund.de/media/archive/1045.pdf
Vorsorgevollmacht -> http://www.bmj.bund.de/media/archive/953.pdf

In der Patientenverfuegung, auch Patiententestament genannt, kann man sich zu seinen Wuenschen bezueglich medizinischer Behandlung/Nichtbehandlung oder Behandlungsbegrenzung angesichts einer aussichtlosen Erkrankung, insbesondere in der letzten Lebensphase, aeu?ern.

Die Betreuungsverfuegung dient dem Zweck, eine Person des eigenen Vertrauens zu benennen, die fuer den Fall, dass eine Betreuung notwendig werden sollte, vom Vormundschaftsgericht bestellt werden soll.

Anstelle der Betreuungsverfuegung kann eine Vorsorgevollmacht ausgestellt werden, in der eine Person des eigenen Vertrauens als Bevollmaechtigte eingesetzt werden kann, die im Unterschied zum Betreuer nicht vom Vormundschaftsgericht bestellt werden muss, sondern im Fall der eigenen Entscheidungsunfaehigkeit sofort fuer den Vollmachtgeber handeln kann.

Rede der Praesidentin der Landesaerztekammer Baden-Wuerttemberg, Dr. Ulrike Wahl, beim Symposium der Notarakademie zum Thema „Patientenverfuegung“ am 10. Juli 2006 in Stuttgart
Anrede
Patientenautonomie auch am Lebensende – eine Selbstverstaendlichkeit !!??

Seit in den 80-er-Jahren erstmals der Begriff Patiententestament auftauchte, laesst uns das Thema nicht mehr los. Dabei schien doch alles klar zu sein. Endlich gab es ein Instrument, um dem individuellen Willen eines Patienten auch dann Gehoer zu verschaffen, wenn er ihn selbst nicht mehr aeu?ern kann.

Dennoch: Kaum ein Thema wird so leidenschaftlich, so ideologisch und in Einzelheiten auch so kontrovers diskutiert wie dieses. Durch die technischen Moeglichkeiten der Medizin koennen Aerzte gegenwaertig in fast jeden Sterbeprozess eingreifen und ihn nahezu beliebig verlaengern. Eine erschreckende Vorstellung, die den Menschen Angst macht. Und diese Angst vor einem schmerzhaften, durch Apparatemedizin nur noch qualvoll hinausgezoegerten Sterben ist rational schwer zu beherrschen. Sich mit der Unausweichlichkeit des eigenen Todes auseinandersetzen zu muessen, beruehrt jeden Menschen im Innersten, jeder fuehlt sich betroffen, und jeder hat eine Meinung dazu.

Auch die Aerzteschaft hat sich nicht immer leicht getan mit dem Thema Patientenautonomie. Unser aerztliches Selbstverstaendnis ist darauf ausgerichtet Leben zu erhalten, Krankheiten zu heilen und Schmerzen zu lindern. „Salus aegroti suprema lex“ – hei?t es, das Wohl des Patienten ist oberstes Gebot. Und bis weit in die zweite Haelfte des vergangenen Jahrhunderts war die Aerzteschaft davon ueberzeugt, nur sie selbst koennten entscheiden, was fuer den Patienten gut ist. Es war die Zeit des medizinischen Paternalismus, der Arzt als Vater, der ueber das Wohl der Kinder bestimmt. Hier hat sich ein entscheidender Wertewandel vollzogen. „Voluntas aegroti suprema lex“, hei?t es heute, der Wille des Patienten ist oberstes Gebot.

Wuerde und Freiheit des Menschen sind durch das Grundgesetz geschuetzt. Dazu gehÃ
ƒÂ¶rt auch das Recht zur Selbstbestimmung ueber den eigenen Koerper, und dieses Selbstbestimmungsrecht gilt bis zum Lebensende.

Mit einer Patientenverfuegung kann der Patient sein Selbstbestimmungsrecht wahrneh
men. Eine Patientenverfuegung ist demnach zweifelsfrei eine Richtschnur fuer aerztliches Handeln. Ist sie auch ein Gebot?

Patientenverfuegungen und die Kriterien fuer ihre wirksame Befolgung sind bisher nicht gesetzlich verankert. Es gibt zwar hoechstrichterliche Urteile zu dem Thema, aber hoechstrichterliche Urteile sind fuer juristische Laien – und damit auch fuer Aerzte – oft nur schwer zu deuten. Darf ich – muss ich – lebenserhaltende Ma?nahmen beenden, weil der Patient es so bestimmt hat? Bei vielen Aerzten herrscht hier eine gewisse Rechtsunsicherheit. Und viele Patienten bezweifeln die Bindungswirkung einer Patientenverfuegung und fuerchten, der Arzt werde sich nicht an den niedergelegten Willen halten.

Wie stellt sich die Aerzteschaft heute zur Umsetzung der Patientenautonomie am Lebensende?

Die Bundesaerztekammer hat im Jahr 2004 in den Grundsaetzen zur aerztlichen Sterbebegleitung, auch zum Thema Patientenverfuegung Stellung genommen. Ich zitiere: „Eine Patientenverfuegung ist eine schriftliche oder muendliche Willensaeu?erung eines einwilligungsfaehigen Patienten zur zukuenftigen Behandlung fuer den Fall der Aeu?erungsunfaehigkeit. Mit ihr kann der Patient seinen Willen aeu?ern, ob und in welchem Umfang bei ihm in bestimmten, naeher umrissenen Krankheitssituationen medizinische Ma?nahmen eingesetzt oder unterlassen werden sollen.“

Das ist ein eindeutiges Votum fuer das Selbstbestimmungsrecht des Patienten.

Dieses Selbstbestimmungsrecht hat allerdings eine klare Grenze. Niemand kann unter Berufung auf sein Selbstbestimmungsrecht andere dazu verpflichten, ihn auf Verlangen zu toeten, oder ihn bei der Selbsttoetung zu unterstuetzen. Die aktive Sterbehilfe und auch der assistierte Suicid wird von der Aerzteschaft nach wie vor und auch in Zukunft entschieden abgelehnt.

Passive Sterbehilfe hingegen, also Unterlassen oder Abbrechen medizinisch indizierter Ma?nahmen – ist bei entsprechenden Voraussetzungen ethisch vertretbar und juristisch zulaessig. Im Gegensatz zum Praesidenten der Bundesaerztekammer bin ich allerdings der Meinung, dass die Zulaessigkeit und Straffreiheit der passiven Sterbehilfe gesetzlich verankert werden muessen. Hier ist Rechtssicherheit dringend vonnoeten.

Wer sein Selbstbestimmungsrecht wahrnimmt, muss auch die Verantwortung fuer moegliche Folgen uebernehmen. Wer eine Patientenverfuegung abfasst sollte also in der Lage sein, Bedeutung und Tragweite seiner Entscheidung zumindest im wesentlichen erfassen und das Fuer und Wider abwaegen zu koennen. Nur wenige medizinische Laien werden allerdings ohne Hilfe die Komplexitaet medizinischer Sachverhalte angemessen und vor allem rechtssicher in ihrer Verfuegung darstellen koennen.

Aus unserer Sicht ist es daher wuenschenswert, dass sich der Patient bei der Abfassung einer Verfuegung beraten laesst. Am besten von seinem Hausarzt.

Im Rahmen dieses Gespraechs kann der Hausarzt den Patienten auch darueber aufklaeren, dass eine schwere unheilbare Krankheit nicht zwingend Apparatemedizin und Intensivstation bedeutet. Die Moeglichkeiten der modernen Schmerztherapie sind noch viel zu wenig bekannt, und das Ziel von Palliativmedizin und Hospizbewegung ist unheilbar Kranken ein weitgehend beschwerdefreies, wuerdevolles Weiterleben bis zum Tod zu ermoeglichen. Aber auch wenn die Entscheidung des Patienten gegen jede medizinische Vernunft ist, sie muss von uns respek
tiert werden. Aerztliche Kompetenz und Befugnis endet bei dem rechtlich wirksam erklaerten Willen des Patienten.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass der nur muendlich geaeu?erte Wille sehr oft zu Auslegungsschwierigkeiten in der konkreten Entscheidungssituation fuehrt. Eine schriftlich niedergelegte Verfuegung kann unsere Arbeit erheblich erleichtern. Wir empfehlen darueber hinaus auch eine in regelmae?igen Abstaenden vorgenommene Bestaetigung, dass der niedergelegt
e Wille noch dem aktuellen entspricht. Zwar ist dies derzeit rein rechtlich gesehen nicht erforderlich, aber – wenn ich das so sagen darf – fuer die aerztliche Akzeptanz kommt es weniger auf Rechtsdogmatik als auf Praxistauglichkeit an.

Welche Vorlage der Patient fuer die Verfuegung waehlt, ist aus aerztlicher Sicht nachrangig. Es gibt derzeit rund zweihundert Muster auf dem Markt, die von unterschiedlichen Organisationen mit unterschiedlichen Akzenten angeboten werden und wahrscheinlich alle mehr oder weniger brauchbar sind.

Ich habe sie nicht gelesen. Ich empfehle auf Nachfrage die Fassung, die man von der Homepage des BMJ herunterladen kann. Welches Muster der Patient auch waehlt, entscheidend ist, dass die betreffende Situation fuer die die Verfuegung gelten soll moeglichst konkret beschrieben ist. Je konkreter die Aussage gefasst wird, desto staerker ist die Bindungswirkung, das hei?t, desto klarer ist das aerztliche Handeln vorgegeben.

Unspezifische und auslegungsbeduerftige Formulierungen wie Apparatemedizin, unwuerdiges Dahinvegetieren, qualvolles Leiden und aehnliche sind zwar emotional nachvollziehbar, uns aber bei der Entscheidungsfindung wenig hilfreich.

Wenn wir es ernst meinen mit der Patientenautonomie am Lebensende, dann muss der Wille des Patienten klar und eindeutig zu erkennen sein. Das ist der Punkt, der uns in der Praxis die meisten Probleme bereitet.

Ich moechte das an einem zwar fiktiven aber nicht unrealistischen Beispiel erlaeutern: Ein aelterer Patient muss nach einem Autounfall notfallmae?ig operiert und verletzungsbedingt laenger auf der Intensivstation beatmet werden. Die Ehefrau bringt am zweiten Tag eine Patientenverfuegung, die ihr Mann vor 20 Jahren verfasst hatte, und die in der Folgezeit weder widerrufen noch bestaetigt wurde. In diesem Papier steht unmissverstaendlich: Ich will keine Intensivbehandlung, keine Beatmung, keine Wiederbelebung.

Was jetzt? Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit und auch wenn die Anweisung eindeutig ist, so sind doch Zweifel erlaubt, ob der derzeitige mutma?liche Wille des Patienten immer noch dem in der Verfuegung niedergelegten entspricht.

Der Arzt wird sich jetzt mit den Angehoerigen und Freunden des Patienten verstaendigen und versuchen sich anhand ihrer Aussagen ein Bild von den Lebensumstaenden und Wertevorstellungen des Patienten zu verschaffen. Das ist nicht immer leicht, denn verstaendlicherweise sind die Aussagen der Angehoerigen gerade in Krisensituationen oft von eigenen Erwartungen, Wuenschen und auch von Schuldgefuehlen gepraegt. Ergibt die Befragung begruendete Zweifel daran, dass der damals geaeu?erte Wunsch auch aktuell seinem Willen entspricht, so wird sich der Arzt fuer eine Fortfuehrung der Therapie entscheiden.

Im Zweifel hat das Leben Vorrang. Nehmen wir aber an, die Befragung ergibt, dass die Ablehnung von Intensivmedizin und Beatmung nach wie vor eindeutiger Wille des Patienten ist. Dann waere die Konsequenz, die Therapie zu beenden und das Beatmungsgeraet abzuschalten, was mit gro?er Wahrscheinlichkeit zum raschen Tod des Patienten fuehrt, eines Patienten, der medizinisch gesehen eigentlich eine gute Prognose hat.

Ein beklemmender Gedanke fuer jeden Arzt.
An vielen Kliniken gibt es in der Zwischenzeit interdisziplinaer zusammengesetzte Ethikkommissionen, die in solchen Faellen dem Arzt Entscheidungshilfe geben koennen. Entscheidet man sich schlie?lich zur Therapiebeendigung, so hat es sich als sinnvoll erwiesen vorher einen Konsens mit den Angehoerigen, den behandelnden Aerzten und dem Pflegepersonal herzustellen. Das Abschalten des Beatmungsgeraetes in dem geschilderten Fall ist zwar per definitionem passive Sterbehilfe und damit zulaessig, kommt aber im Empfinden des Handelnden einer aktiven Toetungshandlung sehr nahe.

Der Patient in meinem Beispiel war zwar nicht mehr der Juengste, hatte aber von seinen Verletzungen her eine gute Prognose, das hei
?t er haette mit gro?er Wahrscheinlichkeit den Unfall ueberlebt. Er stand also nicht am Beginn des Sterbeprozesses, das Grundleiden hatte keinesfalls den irreversiblen toedlichen Verlauf genommen, den der BGH 2003 als Voraussetzung fuer das Unterlassen lebenserhaltender Ma?nahmen postuliert. Diese Entscheidung ist schwer nachzuvollziehen. Die Aerzteschaft ist denn auch ueberwiegend der Auffassung, dass Reichweite und Verbindlichkeit einer Patientenverfuegung – und damit das Selbstbestimmungsrecht der Patienten – nicht auf bestimmte Phasen einer Erkrankung beschraenkt werden sollte. Autonomie kann man nicht portionieren.

Mein Beispiel zeigt deutlich, die Umsetzung einer Patientenverfuegung muss wohlueberlegt sein, und das erfordert Zeit. Notfallmedizin ist zeitkritisch. Ein Notarzt, der zu einem Bewusstlosen gerufen wird muss die Vitalfunktionen stabilisieren – also Atmung und Kreislauf – und dann den Patienten zur weiteren Diagnostik und Therapie in die naechste geeignete Klinik bringen. Die Patientenverfuegung, die auf dem Nachttisch liegt und vielleicht gerade dies ausschlie?t ist in der Situation zunaechst nachrangig.

Anrede
Ich habe versucht, Ihnen das Thema Patientenverfuegungen aus der Sicht der Aerzteschaft zu schildern. Dass dabei die Meinung der verfassten Aerzteschaft, die ich hier repraesentiere, nicht immer ganz kongruent ist mit der Meinung einer Intensivmedizinerin, die ich auch bin, dafuer bitte ich Sie um Verstaendnis.

Kommen wir zurueck zu dem Titel meines Referats – „Patientenverfuegung: Richtschnur oder Gebot?“ – so kann ich Ihnen auch jetzt nichts anderes sagen als: Richtschnur immer; Gebot ja, aber… Gebot…. unter bestimmten Voraussetzungen. Eindeutiger geht`s leider nicht.

Im Juni letzten Jahres hat der Nationale Ethikrat in einer Stellungnahme empfohlen, Voraussetzungen und Reichweite von Patientenverfuegungen im Interesse der Rechtssicherheit gesetzlich zu regeln.

Hierzu zitiere ich wiederum den Praesidenten der Bundesaerztekammer: „Bei jeder wie auch immer gearteten rechtlichen Regelung zu Patientenverfuegungen sollte bedacht werden, dass das Sterben nicht normierbar ist und dass die individuelle Auseinandersetzung mit diesem bisher in unserer Gesellschaft weitgehend tabuisierten Thema wichtiger ist als eine gesetzliche Bestimmung“.

Ich gebe ihm natuerlich recht, dass der hochsensible Bereich der Arzt/Patientenbeziehung am Lebensende eigentlich keine Regulierung vertraegt, und ich gebe ihm auch recht, dass sich unsere Gesellschaft mit dem Thema Sterben auseinandersetzen sollte. Ich stimme ihm allerdings nicht zu in seiner Ablehnung einer gesetzlichen Regelung. Hier ist Handlungsbedarf. Handlungsbedarf im Interesse der Patienten und auch im Interesse der Aerzte.

Stand: 19.07.2006
Quelle: aerztekammer-bw.de

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